Das Einmaleins guter Texte #1: Aktiv und Passiv

Es ist zwar eine der Grundregeln guten Schreibens, trotzdem ignorieren sie einige Blogger, Texter, Pressereferenten und Journalisten mit beharrlicher Konstanz. Die Regel lautet: Nutzt aktive Verben, vermeidet Passiv-Konstruktionen. Warum und wieso erkläre ich euch in diesem Artikel. Er ist zugleich der Auftakt zu meiner Serie „Das Einmaleins guter Texte“. Los geht’s mit Aktiv und Passiv.

Wie bei jedem Handwerk gibt’s natürlich auch beim Schreiben einige klare Regeln. Die sind zwar kein Garant dafür, dass jeder Text dadurch gleich für den Pulitzer-Preis nominiert wird, aber sie helfen zumindest, einige Kardinalfehler zu vermeiden und Texte lesenswerter zu machen. Die Themen dieser Serie habe ich gewählt, weil ich immer wieder über sie falle bei meinen Text-Coachings oder alten Websites, für die ich neue Texte schreiben soll.

Wenn ihr die Aktiv-Passiv-Regel kurz und knapp auf den Punkt gebracht haben wollt, dann lautet sie so: Schreibt aktiv, nicht passiv. Punkt. Wenn ihr wissen wollt, warum, kommt hier mein Senf zum Thema:

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Ein passives Beispiel und wie es aktiv lauten könnte

Aktives Schreiben heißt – ihr ahnt es – schreiben mit vielen aktiven Verben. Logisch. Passives Schreiben heißt dagegen – genau – schreiben mit vielen Hilfsverben und Passivkonstruktionen. Auch logisch. Trotzdem werden immer wieder Texte geschrieben statt dass Autoren einfach Texte schreiben.

Nehmen wir die fiktive Geschichte eines beliebigen Protagonisten wie wir sie täglich im Netz lesen können:

„Drama in Hintertupfing: Ein Passant ist bei einem Unfall lebensgefährlich verletzt worden. Er wollte gerade eine Straße überqueren, als er vom Fahrer eines Traktors übersehen wurde. Dabei wurde auch der Pudel des Passanten von dem Fahrzeug erfasst. Der 50-jährige Mann wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. Der Pudel ist noch an der Unfallstelle gestorben.“

Es hakt sprachlich. Der Lesefluss stockt. Die Geschichte zieht sich in die Länge, liest sich holprig, gestelzt, bürokratisch, langweilig. Wer so schreibt, verliert schnell seine Leser.

Einfacher ginge es so:

„Drama in Hintertupfing: Der Fahrer eines Traktors hat beim Abbiegen einen Passanten übersehen, der gerade die Straße überqueren wollte. Das Fahrzeug erfasste den 50-Jährigen und dessen Pudel. Das Tier starb, Einsatzkräfte brachten den lebensgefährlich verletzten Mann in ein Krankenhaus.“

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Warum es so wichtig ist, aktiv zu formulieren

Der Leser ist ein sensibles Wesen. Er will Informationen oder Unterhaltung, am besten beides gleichzeitig. Bekommt er weder das eine, noch das andere, hört er auf zu lesen. Bekommt nur das eine, nicht aber das andere, liest er nur so lange wie nötig. Bekommt er aber beides, haben wir eine Chance, dass er unseren Text tatsächlich auch bis zum Ende liest. Um die Infos geht es an dieser Stelle nicht, sondern ums gute Schreiben, also die Unterhaltung. Der Text muss also gut sein und seine Leser binden, wenn ihr nicht für den Web- oder Print-Äther schreiben wollt. Aktiv formulierte Texte sind eine der Stellschrauben, um das zu erreichen.

 

1. Aktive Verben sind starke Verben, weil sie uns unmittelbar am Geschehen teilhaben lassen.

Im Beispiel sind das die Verben übersehen, erfassen, sterben und bringen. Wir können mit diesen Verben eigene Erlebnisse assoziieren, Emotionen, seelische und physische Schmerzen. Setzen wir die Verben dagegen ins Passiv, verlieren sie an Stärke, weil sie eine Distanz vermitteln und ihre Bedeutung im schlimmsten Fall durch andere Satzteile zerteilt wird.

Nehmen wir den Pudel im Passiv-Beispiel. Acht Wörter lang müssen wir darauf warten, was dem Pudel konkret zugestoßen ist: „wurde – auch der Pudel des Passanten von dem Fahrzeug – erfasst.“ Als Leser haben wir keine Chance, unmittelbar Mitleid zu empfinden, weil wir zu lange – nämlich acht Wörter lang – darauf warten müssen, was denn nun mit dem Pudel passiert ist.

Das gelingt uns dagegen im Aktiv-Beispiel unmittelbar, weil wir direkt wissen: „oha, erfassen verheißt etwas Schlimmes.“ Wir warten angespannt darauf, wen oder was das Fahrzeug erfasst hat und erfahren das unmittelbar im Anschluss: „Sein Fahrzeug erfasste den 50-Jährigen und dessen Pudel.“

2. Aktive Verben beeinflussen das Unterbewusstsein der Leser.

Aktive Sprache ist also unmittelbar, passive Sprache dagegen distanziert. Wenn etwas mit einem Lebewesen gemacht wird, dann berührt uns das weniger, als wenn jemand etwas mit dem Lebewesen macht. Wenn der Passant und der Pudel also von einem Traktor (passiv) angefahren wurden, ist das ihr Schicksal, das keiner beeinflussen kann.

Wenn aber der Traktor den Passanten und den Pudel (aktiv) angefahren hat, dann hatte der Fahrer auch die Wahl, wie schnell er fährt und wohin, und der Passant und der Pudel hatten dann auch theoretisch eine Chance, sich zu retten.

Der kleine, feine Unterschied ist also die aktive Tat.

Dass der Fahrer unaufmerksam war und der Passant sich mit seinem Pudel zugleich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte, birgt eine doppelte Tragik. Das packt uns emotional. Emotionen sind einer der wichtigsten Faktoren für lesenswerte Texte, weil sie unsere Empathie wecken. Will sagen: Solche Texte gehen ans Herz.

3. Aktives Formulieren verkürzt Texte.

Im Aktiv geschriebene Texte sind kürzer und damit dichter, verständlicher und oft emotionaler. Das ist deshalb so wichtig, weil jeder Text, jeder Artikel und jede Geschichte uns nur dann berührt, wenn wir uns mit dem Inhalt identifizieren können. Kurze Texte rücken die entscheidenden emotionalen Aspekte näher zueinander und beantworten die sechs Ws schneller, also das Wer, Was, Wann, Wo, Wie, Warum.

Im Passiv-Beispiel: Der Text springt in sechs Sätzen zwischen Passant, Traktorfahrer und Pudel hin und her und verwirrt uns, weil die Informationen wild durcheinander folgen.

  1. Drama in Hintertupfing. → Wo
  2. Ein Passant ist bei einem Unfall lebensgefährlich verletzt worden. → 1. Wer (Passant) & 1. Was (Unfall Passant)
  3. Er wollte gerade eine Straße überqueren, als er vom Fahrer eines Traktors übersehen wurde. → Wie (Straße überqueren), Warum (übersehen) & 2. Wer (Traktorfahrer)
  4. Dabei wurde auch der Pudel des Passanten von dem Fahrzeug erfasst. → 3. Wer (Pudel) & 2. Was (Unfall Pudel)
  5. Der 50-jährige Mann wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. → 1. Wer (Passant/50-Jähriger) & 3. Was (Einlieferung ins Krankenhaus)
  6. Der Pudel ist noch an der Unfallstelle gestorben. → 3. Wer (Pudel) & 4. Was (Pudel tot)

Das ist natürlich kein reines Passiv-Problem, sondern auch ein Text-Aufbau-Problem, aber das Passiv trägt zum Aufbau des Textes bei.

Dagegen im Aktiv-Beispiel: Vier Sätze, weniger Sprünge, logischere Abfolge, klarere Infos.

  1. Drama in Hintertupfing. → Wo
  2. Der Fahrer eines Traktors hat beim Abbiegen einen Passanten übersehen, der gerade die Straße überqueren wollte. →  1.+2. Wer (Traktorfahrer & Passant) & & Warum (übersehen) & Wie (Straße überqueren)
  3. Das Fahrzeug erfasste den 50-Jährigen und dessen Pudel. → 1. Was (Unfall) & 2.+3. Wer (Passant & Pudel)
  4. Das Tier starb, Einsatzkräfte brachten den lebensgefährlich verletzten Mann in ein Krankenhaus. → 2.+3. Wer (Passant & Pudel) & 2.+3. Was (Pudel tot & Einlieferung Krankenhaus)

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Die Grenzen der Aktiv-Passiv-Theorie

Ich weiß, das ist alles ziemlich theoretisch und natürlich könnte ich das Passiv-Beispiel auch irgendwie so hindrehen, dass es einen Tick weniger verwirrend ist. Mir geht’s aber nicht darum, wie ihr passive Sprache möglichst geschickt verwenden könnt, sondern darum, verständlich zu machen, warum ihr sie am besten ganz vermeiden solltet.

Und ja, auch das ist klar: Manchmal machen Passiv-Konstruktionen natürlich Sinn. Ein Auto wird zum Beispiel gefahren und fährt nicht, auch wenn wir das umgangssprachlich so sagen. Falsch ist es dem Wortsinn nach trotzdem. Ein Auto rollt, das Fahren übernimmt immer noch der Fahrer (noch zumindest weitgehend und ja, natürlich mit Ausnahme selbstfahrender Autos).

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Auf den Punkt gebracht: Gründe für aktive Sprache

Zusammengefasst geht es bei der Entscheidung für Aktiv geschriebene Texte also darum, euren Lesern schlicht bessere Texte zu liefern. Aktive Sprache ist besser, weil:

  • stärker
  • kürzer
  • dichter
  • unmittelbarer
  • verständlicher
  • flüssiger zu lesen
  • empathischer
  • emotionaler

 

Bei Fragen wie immer: Kommentare und E-Mails sind jederzeit willkommen!


Tags

Aktiv, Passiv, Sprache


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